Kolumne „Besser wissen“, Folge 1:
Wir sind Nobelpreis!

Bevor am 10. Dezember die wichtigste Auszeichnung für Forschende verliehen wird, gratulieren selbst entfernte Wissenschaftsverwandte gerne – vor allem sich selbst.

Bis 2015 hat er als „Professor Holger“ noch regelmäßig Wissenschaftsfragen auf WDR-1Live beantwortet, jetzt analysiert RRC-Mitglied Holger Wormer in unserem Blog sowie im Berliner Tagesspiegel regelmäßig Interessantes, Seltsames und manchmal sogar Absonderliches aus der Welt der Wissenschaftskommunikation.


Es soll Menschen geben, die Jagd auf verschwitzte T-Shirts von Fußballern oder Popstars machen oder sich nach einer weihevollen Berührung durch den Papst tagelang nicht waschen, um diese möglichst lange zu konservieren. Die wohl höchste Weihe, die die irdische Welt der Wissenschaft zu vergeben hat, ist der Nobelpreis. Vergeben wird er am 10. Dezember, dem Todestag Alfred Nobels.


Wer an diesem Tag durch den schwedischen König in Stockholm die glitzernden Medaillen entgegennehmen darf, wird gut zwei Monate zuvor bekannt gegeben – genug Zeit also, um etwas Glanz des Preises auf vermeintlich Mitbeteiligte abstrahlen zu lassen.


Das Ritual der öffentlichen Gratulanten, die sich mit ihrer Gratulation stets gleich auch irgendwie selbst gratulieren, ist vielleicht symptomatisch für die Aufgeregtheit, mit der man sich in der deutschen Wissenschafts-PR um Glanz und Gloria bemühen muss. Da sind zunächst die Glückwünsche all jener Rektorate von Universitäten zu nennen, an denen die Preistragenden viele Jahrzehnte zuvor ihre ersten Vorlesungen gehört haben – was deren wissenschaftliche Karriere zumindest nicht zu verhindern vermochte.


In die Liste der Pressemitteilungsgratulanten reihen sich dann noch Akademien und Fachgesellschaften ein, in denen die Laureaten als Mitglieder registriert sind. Den Gipfel des öffentlichen Gratulationstreibens sicherte sich 2022 aber die Pressestelle der Berliner „Falling Walls“-Konferenz. Deren jeweils per eigener Pressemitteilung übermittelte Gratulation an Medizinnobelpreisträger Svante Pääbo und Physiknobelpreisträger Anton Zeilinger begründete sich schlicht darin, dass diese acht Jahre zuvor auf der Konferenz Vorträge gehalten hatten. Dazu kam dann noch eine dritte Pressemitteilung, bezüglich Chemiepreisträgerin Carolyn Bertozzi, wegen Anwesenheit im Jahr 2020.


Sollte sich die Praxis der Pressemitteilungsgratulation jedweder Forschungseinrichtung oder Konferenzreihe durchsetzen, wo Nobelpreistragende irgendwann einmal vorgetragen haben, so könnte sich zwischen Oktober und Dezember womöglich eine Pilgerreise nach Rom anbieten, um all der Reputationskommunikation zu entkommen. Bis dahin, liebe Lesende, möchten wir Sie aber noch beglückwünschen, dass Sie soeben einen Artikel über Nobelpreise gelesen, ja ihn eventuell sogar berührt haben. Vielleicht war es ja gut fürs Karma.


Die Kolumne ist zuerst im Tagesspiegel erschienen.