Kolumne „Besser wissen“, Folge 3: Aus unendlichen Weiten in die Schule

Im 23sten Wissenschaftsjahr soll irgendwie alles drin sein – und doch wirkt das PR-Agentur-geprägte Format des Wissenschaftsministeriums inzwischen etwas aus der Zeit gefallen.

Bis 2015 hat er als „Professor Holger“ noch regelmäßig Wissenschaftsfragen auf WDR-1Live beantwortet, jetzt analysiert RRC-Mitglied Holger Wormer in unserem Blog sowie im Berliner Tagesspiegel regelmäßig Interessantes, Seltsames und manchmal sogar Absonderliches aus der Welt der Wissenschaftskommunikation.


Der Weltraum, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2023. Viele reden von Zeitenwende. Nach der Pandemie und im Zeichen des Kriegs in Europa ist die Wissenschaft zu wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sozialen Fragen, über Friedens- und Konfliktforschung bis hin zu Klimakrise, Energie- und Verkehrswende gefragt wie nie. Das Thema im (offiziell 23sten) Wissenschaftsjahr des BMBF aber, das nun verstärkt kommuniziert werden soll, lautet: das Universum. – Echt jetzt?

Der Blick in die Sterne ist eigentlich auch ohne besondere Würdigung fast ein Selbstläufer der Wissenschaftskommunikation. Und vielleicht verspricht etwas Star Trek-Eskapismus in entfernte Galaxien angesichts zu vieler irdischer Probleme Abwechslung. Nur: Rechtfertigt das den Aufwand für ein weiteres der Wissenschafts-PR-Jahre, bei denen sich die Wissenschaft oft mehr selbst feiert als mit wissenschaftsfernen Bevölkerungsgruppen zu kommunizieren?

Anlässe zum Feiern gibt es auch dieses Mal: Das erste moderne Planetarium feiert seinen 100sten und Kopernikus seinen 550sten Geburtstag. Aber irgendwie schien dann doch aufgefallen zu sein, dass die großen Fragen auf der Erde nicht ganz fehlen dürfen.
Zumindest wird auf der Seite des Wissenschaftsjahrs nun „ein Bogen von den Anfängen des Weltalls bis hin zu den drängendsten Themen unserer Zeit wie dem Klimawandel, Umweltschutz oder die Erschließung neuer Energiequellen“ ebenso versprochen wie ein Blick auf „geistes- und naturwissenschaftliche Hilfsdisziplinen“ (!) der Weltraumforschung.
In der Fantasie möchte man sich förmlich ausmalen, wie die Vertretenden einer PR-Agentur im Ministerium ihr Konzept vorstellten, vielleicht mit so Worten wie: „Nehmen Sie das Universum, da ist alles drin“ – was philosophisch betrachtet ja nicht einmal ganz falsch wäre.

Post-it-Zettel und Fruchtgummis

Die bisher für die Bildungsarbeit zum Universum auffindbaren Lehrmaterialien (die hier „Kampagnenmaterialien“ heißen) spiegeln einen solchen Anspruch allerdings nicht wider: Post-it-Zettel im Saturnring-Format, Fruchtgummis und – immerhin – ein Notizbuch mit einigen Informationen.

Darin erfahren wir von der Forschungsministerin höchstselbst: „Weltraumtechnologien bringen Fortschritt. Darunter sind auch praktische Erfindungen für den Alltag wie Gleitsichtbrillen oder Handstaubsauger.“ Das wirkt in etwa so, wie man früher den Mythos von der Teflon-Pfanne aus der Weltraumforschung bemühte.

Ob man mit dem auch insgesamt etwas aus der Zeit gefallenen PR-Format Wissenschaftsjahr nennenswert Nachwuchs für die Forschung gewinnt, bleibt fraglich. Effizienter wäre jedenfalls eine gezielte Investition an jenen Stellen, wo sich kein junger Mensch der Wissenschaft entziehen kann: in der Schule. Die meisten Eltern werden indes bestätigten: Da wo Physik und Astronomie für alle lebendig unterrichtet werden sollte, klafft oft nur ein schwarzes Loch im Stundenplan.

Die Kolumne ist zuerst im Tagesspiegel erschienen.