Bis 2015 hat er als „Professor Holger“ noch regelmäßig Wissenschaftsfragen auf WDR-1Live beantwortet, jetzt analysiert RRC-Mitglied Holger Wormer in unserem Blog sowie im Berliner Tagesspiegel regelmäßig Interessantes, Seltsames und manchmal sogar Absonderliches aus der Welt der Wissenschaftskommunikation.
Auto, Heizung, Stromerzeugung – und immer wieder dieses magische Wort: „Technologieoffenheit“. Klingt toll, gehört aber auch in eine Reihe von irreführenden Plastikwörtern aus Politik und Lobbyismus. Gerne werden dort kleine Fortschritte zu „Durchbrüchen“ hochstilisiert, „Innovationen“ versprochen und Experimente der Grundlagenforschung sogleich zur Therapie erklärt – etwa als schon vor 25 Jahren von „Gentherapie“ oder „Therapeutischem Klonen“ die Rede war.
Die Begriffe verschleiern allzu oft, in welch kleinen Schritten Forschung tatsächlich funktioniert – und wie weit der Weg von der Grundlagenforschung zur Anwendung ist. Beispiel Medizin: Von der Idee bis zur Zulassung eines Medikaments dauert es im Durchschnitt 7 bis 15 Jahre; die allermeisten, zunächst vielversprechenden, Ansätze im Labor erweisen sich als Blindgänger. Beispiel Kernfusion: Als die Bundesforschungsministerin sich – selbstredend unter Verweis auf „Technologieoffenheit“ – nach Fortschritten in US-Laborversuchen Ende 2022 zur Prognose verstieg, das erste deutsche Fusionskraftwerk würde vielleicht schon in zehn Jahren ans Netz gehen, schüttelten sogar zweckoptimistische Fusionsforscher den Kopf. Als realistisch gelten eher 30 bis 50 Jahre, sofern das Vorhaben überhaupt jemals wirtschaftlich wird.
Allerdings macht auch die Wissenschafts-PR beim forschungspolitischen Getöse allzu oft mit. Über den idw-Pressemitteilungsdienst versenden die meist deutschen Forschungseinrichtungen pro Jahr mehr als 200 Nachrichten mit dem Hinweis auf einen „Durchbruch“. Dabei sind Durchbrüche in der Forschung äußerst selten.
Der inflationäre Umgang mit Plastikwörtern aus der PR-Wundertüte weckt Erwartungen, die die Wissenschaft meist enttäuschen muss. Vor allem aber verschleiert das Mantra von der angeblichen „Technologieoffenheit“ oft nur das Fehlen einer Strategie. Denn wer neuen Technologien tatsächlich zum Erfolg verhelfen möchte, muss sich auch dafür entscheiden, diese gezielt zu fördern – damit sie bisher dominante, aber veraltete Technologien als neuen Standard ablösen können. In Abwandlung eines bekannten Kalauers könnte man daher sagen: Wer für alle Technologien offen bleibt, kann nicht ganz dicht sein.
Die Kolumne ist zuerst im Tagesspiegel erschienen.