Von David Kaldewey
Im Wikipedia-Eintrag zur 2005 ausgelobten und 2017 ausgelaufenen Exzellenzinitiative (für Insider: ExIni) findet sich ein Hinweis, dass der Artikel „lückenhaft“ ist: Deutschland sei nämlich im Jahr 2003 mit 42 Top-500-Hochschulen im internationalen Vergleich sehr gut aufgestellt gewesen. Der Wikipedia-Artikel müsse deshalb, so die Forderung der anonymen Autorin, erstmal erklären, „was genau das Ziel der Exzellenzinitiative im internationalen Zusammenhang war“.
Eine solche Anmerkung sollte im Wikipedia-Universum nicht auf die Goldwaage gelegt werden – aber sie lädt doch ein zu recherchieren, wer hier von welcher Position aus spricht. Die Autorin des Hinweises hat den Benutzernamen „Stilfehler“ und beschreibt sich als promovierte Geisteswissenschaftlerin, die im Rahmen des „deutsch-amerikanischen Brain Drain“ seit dem Jahr 2000 in den USA lebt. Wir können also vermuten, dass hier jemand mit kritischem Außenblick auf die deutsche Wissenschaftspolitik schaut. Tatsächlich waren skeptische Nachfragen zum Sinn und Zweck der Exzellenzinitiative in den frühen 2000er Jahren häufig zu hören, insbesondere die Rede von „Elite“-Universitäten stieß auf Widerstände in einem Hochschulsystem, welches sich historisch gerade durch eine hohe Egalität zwischen den Institutionen auszeichnete.
Der dem Hinweis angehängte Link zum „Shanghai-Ranking“ (genauer: Academic Ranking of World Universities) aus dem Jahr 2003 ist verwaist. Eine Recherche ergibt, dass dieses erste globale Universitätsranking tatsächlich mehr als 40 deutsche Universitäten gelistet hatte. Wer zum Vergleich die aktuellen Zahlen anschaut, stellt fest: Das Shanghai-Ranking von 2023 listet unter den Top-500 nur noch 31 deutsche Universitäten – ein Dutzend weniger! Was ist passiert? War die Exzellenzinitiative nicht erfolgreich? Oder ist der Blick auf die Rankings einfach unterkomplex?
Das ExStra-Blatt – die neue Kolumne des Rhine Ruhr Center for Science Communication Research – zielt nicht auf die Fortsetzung dieser alten Wehklagen. Es wird hier nicht untersucht, wie erfolgreich das Programm war, ob Deutschlands Hochschulsystem international rockt und ob die einzelnen Exzellenuniversitäten wirklich so total exzellent sind, wie sie sich auf ihren Websites und Briefköpfen präsentieren (legendär: die überdimensionierte Fußnote *exzellent im Corporate Design der Uni Bremen). Es geht also nicht um eine wissenschaftliche Evaluation und auch nicht darum, nochmal auf die vielen positiven Effekte und die Dynamik hinzuweisen, die der Wettbewerb ins deutsche Hochschulsystem eingeführt hat. Stattdessen zielt dieser Blog darauf, einen nüchterneren Blick hinter die glitzernde Oberfläche zu werfen, die Black Box zu öffnen, das Innenleben zu betrachten, und dabei auch die in der Öffentlichkeit weniger thematisierten Aspekte zu berücksichtigen. Dazu gehören die unerwünschten Nebenwirkungen und Verkehrungen von Mitteln und Zwecken, die Folgekosten und Verwerfungen im organisationalen Gefüge der „betroffenen“ (sprich: als exzellent markierten) und „nicht betroffenen“ (sprich: im Wettbewerb nicht erfolgreichen) Universitäten.
Dabei wird keine normative Vorannahme darüber getroffen, was für eine Universität das größere Problem ist: „betroffen“ oder „nicht betroffen“ zu sein. Die nicht Betroffenen mögen gelegentlich neidvoll auf die Betroffenen schauen. Aber letztere, so beschreibt es eine gut vernetzte Insiderin, konstatierten in vertrauterer Atmosphäre auch nicht selten, dass Aufwand und Ertrag in keinem guten Verhältnis mehr stünden. Und die von der Exzellenz betroffenen Wissenschaftler:innen schauen durchaus auch mal neidisch auf die nicht betroffenen Kolleg:innen, die forschen und lehren anstatt Folgeanträge zu schreiben und überdehnte Verbundprojekte zu managen.
Doch zurück zur Frage aus dem Wikipedia-Artikel: Was genau war nun das Ziel all der Exzellen-Wettbewerbe – wenn man mal von der umstrittenen internationalen Ranking-Frage absieht? Eine erste Vermutung lautet: Nach dem Wettbewerb ist vor dem Wettbewerb, so dass mit dem vorweg programmierten Auslaufen der ExIni im Jahr 2017 zugleich das Ziel programmiert war, dass es trotzdem weiter gehen muss. Eine Verlängerung der ersten Exzellenzinitiative hatte ja sogleich den Effekt, dass sie sich damit selbst den Erfolg bescheinigen konnte; denn ein erfolgloses Programm würde man ja nicht verlängern. Dennoch, ein bisschen Neuigkeit muss sein, und so wurde 2016 beschlossen, aus der „Initiative“ eine „Strategie“ zu machen: Seither sprechen wir – auch in diesem Blog – von der Exzellenzstrategie (für Insider: ExStra). Diese startete 2017/2018 und läuft noch bis 2033. Wir befinden uns heute also gerade in der Halbzeit und können den Spieler:innen dabei zuschauen, wie sie sich vom Physiotherapeuten notdürftig wieder zurechtmassieren lassen, um dann wieder auf den Platz geschickt zu werden.
Neben solchen unterhaltenden Wortspielen will das ExStra-Blatt aber auch seriöse Kenntnisse vermitteln. Deshalb sei hier nochmal ganz ernsthaft gefragt: Was ist die Zielsetzung der Exzellenzstrategie – wenn wir die selbstzweckhafte Perpetuierung einer Programmlinie ausklammern, die heute niemand mehr kritisieren möchte (weil man sich damit ja als Verlierer oder Spielverderber outen würde)? Seriöse Fragen erfordern seriöse Quellen, deshalb sei auf die offizielle „Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern gemäß Artikel 91b Absatz 1 des Grundgesetzes zur Förderung von Spitzenforschung an Universitäten“ verwiesen. Dort ist in einem sehr langen Satz festgehalten, dass es um die Förderung „wissenschaftlicher Spitzenleistungen“, „Profilbildungen“ und „Kooperationen“ sowie konkreter um folgende vier Ziele geht: (1) die nachhaltige Stärkung des Wissenschaftsstandorts Deutschland, (2) die Verbesserung und erfolgreiche Entwicklung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit, (3) die Ausbildung von Leistungsspitzen in der Forschung und (4) die Anhebung der Qualität des Hochschul- und Wissenschaftsstandorts Deutschlands in der Breite. Zugegeben: Es hat etwas Mühe gekostet, aus einer verklausulierten Präambel diese vier Ziele herauszudestillieren.
Das Schöne an den Zielen ist, dass sich für jeden etwas findet. Gefördert wird die Spitze, aber auch die Breite. Vor allem ist hier grundsätzlich vom gesamten deutschen Standort die Rede, nicht von einzelnen Universitäten, und vor allem nicht von potenziellen Verliererinnen. Niemand muss, so das Versprechen, etwas abgeben, aber alle bekommen etwas, und manche bekommen etwas mehr. Wer wissen möchte, was genau, ist herzlich eingeladen, immer mal wieder ins ExStra-Blatt reinzulesen.