Kolumne „Besser wissen“, Folge 8: Besuch bei Bakterien

Und der Neffe der Oma des Kaisers war auch schon da: Für manche Forschungsinstitutionen ist es schon eine Nachricht, wenn jemand vorbeikommt – von Politik bis „Bild“.

Bis 2015 hat er als „Professor Holger“ noch regelmäßig Wissenschaftsfragen auf WDR-1Live beantwortet, jetzt analysiert RRC-Mitglied Holger Wormer in unserem Blog sowie im Berliner Tagesspiegel regelmäßig Interessantes, Seltsames und manchmal sogar Absonderliches aus der Welt der Wissenschaftskommunikation.


Braunschweig ist das neue Berlin. Jedenfalls könnte man das denken, wenn man die Werbebotschaften der dortigen Wissenschaftslandschaft empfängt. Wichtigste Sehenswürdigkeit für Forschungsreisende sind: Bakterien! Zumindest erhalten diese häufig Besuch, wie wir regelmäßig aus gleich zwei Braunschweiger Instituten erfahren. Anfang Juli war der niedersächsische Wissenschaftsminister da, davor die Bundesforschungsministerin („im Rahmen ihrer Herbsttour“).

Berichte über Besuche bei Bakterien in Braunschweig haben offenbar Tradition; über die Jahre hinweg wurde man u.a. über den Besuch eines Bundespräsidenten a.D., eines Ministerpräsidenten, eines Beauftragten für regionale Landesentwicklung, eines Autors namens „Dr. Made“, von FDP-Abgeordneten, einer Delegation aus Kenia sowie eines NDR-Regionalmagazins informiert. Unser Lieblingsfundstück trägt indes den Titel „Bild besucht (…) Science Campus Braunschweig-Süd“: Offenbar ist es für Institute schon eine Nachricht, wenn Nachrichtenmacher vom Boulevard zu Besuch kommen – und nicht erst, wenn diese eine Nachricht über den Besuch machen.

Solche Null-Nachrichten liefern auch Erklärungen für frühere Ergebnisse aus der Wissenschaftskommunikationsforschung: In einer Arbeit aus dem Jahr 2017 zählten wir aus einzelnen Forschungseinrichtungen allein über 300 Pressemitteilungen pro Jahr (andere Kanäle noch gar nicht mitgerechnet!). An jedem Werktag außer Sonntag gab es dort also scheinbar Weltbewegendes zu berichten; die TU Berlin landete damals mit einer Mitteilung alle zwei Tage ebenfalls in der Spitzengruppe der – quantitativ – mitteilungsfreudigsten Einrichtungen.

Vielleicht wäre das alles ein Anlass, vor dem nächsten Besuch (in Braunschweig, Berlin oder anderswo) noch einmal nachzudenken, ob dieser wirklich Nachrichtenwert hat. Immerhin gibt es genug Dinge in der Welt zwischen Krieg und Klimakrise, Migration und Personalmangel, Inflation und Populismus, wo man sich eine lautere Stimme der Wissenschaftskommunikation wünschen würde. Allzu oft geht es nur um die eigene Selbstdarstellung, wie eine weitere Mitteilung aus Braunschweig erahnen lässt. Betreff: „Bakterien brauchen ein besseres Image“.

Die Kolumne ist zuerst im Tagesspiegel erschienen.