Brain Gain oder Kopfjagd?

Profitiert die deutsche Forschungslandschaft von den „trumpistischen Abrissaktionen“ in den USA? Wird also ein möglicher Brain Drain zu einem hiesigen Brain Gain? Einspruch, sagt RRC-Sprecherin Julika Griem und warnt vor nationalen Alleingängen. Sie plädiert für den freien internationalen Austausch, wie er auch in der Gemeinsamen Erklärung der Allianz der Wissenschaftsorganisationen beschrieben wird: als Teil eines europäischen Forschungsraums, in Kooperation mit den Partnerländern, aber nicht als nationaler Abwerbewettstreit um die „besten Köpfe“.

von Julika Griem

Es reimt sich einfach zu schön: Wo vorher „Drain“ war, soll nun „Gain“ sein. Die Auswirkungen der trumpistischen Abrissaktionen in der Wissenschaft ließen angesichts neuer Rekrutierungsmöglichkeiten an der Spitze der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) die Augen funkeln;1 in Kalifornien witterte eine deutsche Ökonomin die Chance für eine späte Schubumkehr transatlantischer Fluchtbewegungen aus dem Dritten Reich.2

Während einige Plädoyers für Anwerbungen aus den USA einen Hautgout von Kopfjagd hatten, schlugen die Leitungen der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, des DAAD und der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) moderatere Töne an. Unter der Ägide des Bundesforschungsministers Cem Özdemir veröffentlichte am 27. März die Allianz der Wissenschaftsorganisationen nach zahlreichen Einzel-Interviews eine „Gemeinsame Erklärung“,3 in der nicht von „Brain Gain“, sondern nur von freiem internationalen „Austausch“ die Rede ist. Mit diesem Zwischenstand positionierten sich die Spitzen der deutschen Wissenschafts- und Förderorganisationen in einem europäischen Referenzrahmen. Aufgerufen wurden Werte für den gemeinsamen Hochschulraum und die Attraktivität des Wissenschaftsstandorts Deutschlands – mit internationalem Ausblick, also gerade nicht in einem nationalen Geist kompetitiver Abwerbung der vielbeschworenen „besten Köpfe“. In seiner Begleitkommunikation verstärkte Özdemir die semantische Abrüstung: Er sprach von „Talentzirkulation“ und brachte mit seinen Amtskolleg:innen einen Brief an die europäische Kommissarin auf den Weg, um den Eindruck nationaler Alleingänge zu vermeiden.4 Ganz im Sinne dieser europäischen Wissenschaftsdiplomatie sah Wolfgang Wick, der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, bereits Ende Februar den gemeinsamen Innovations- und Forschungsraum „wachgeküsst“.5

Mit der Akzentverschiebung des ökologisch geschulten Ministers wechseln die Reaktionen auf die wissenschaftsfeindliche Politik der Trump-Administration das semantische Feld: Rhetorisch geht es nicht mehr um Gewinne und Verluste, sondern um eine verträgliche Kreiswirtschaft unter freien Forschenden. Die Erklärung der Allianz reagierte auch auf eine Berichterstattung, die von der Dramatisierung von Antagonismen lebt. Auch hier lässt sich abrüsten: Es kann nicht überraschen, dass unterschiedliche Akteure im deutschen Wissenschaftssystem auf die Lage in den USA entsprechend ihrer Rollen auch unterschiedlich reagieren. So rekrutiert die MPG schon seit Langem international für ihre Institute, weil sie autonomer agieren und besser bezahlen kann. Die Humboldt-Stiftung und der DAAD sind dagegen für Austauschprogramme zuständig und können ihre Erfahrung mit temporären Angeboten geltend machen, die eher auf begrenzte Aufenthalte setzen. An den Universitäten wiederum herrschen schwierigere Bedingungen: Wer schon einmal mit Ad-personam-Berufungen befasst war, hat erfahren dürfen, wie abschreckend langwierige Berufungsverfahren, eine hohe Regelungsdichte und durch Personalmangel noch schwerfälliger gewordene Prozesse nach außen wirken.

Bisher konzentrieren sich viele Vorschläge auf Spitzenpersonal, dessen Gehälter nur schwer an deutsche Verhältnisse anzupassen wäre – auf dieses richtet sich vermutlich auch das „1000-Köpfe-Programm“, das aus den Sondierungsverhandlungen für die neue Regierungskoalition durchgesickert ist. Solche Pläne illustrieren, dass europäische Wissenschaftssysteme natürlich weiterhin konkurrieren – die Universität Aix-Marseille hat beispielsweise mit ihrem Programm „A Safe Place for Science“ angekündigt, dass sie bis Jahresende 15 amerikanische Wissenschaftler:innen aufnehmen und dafür mindestens 15 Mio. Euro aus Stiftungsmitteln einsetzen wird.6 Deutsche Stiftungen engagieren sich dagegen vor allem für Forschung auf Zeit, was die Frage einer verstetigten Finanzierung unter massiven Sparzwängen aufwirft. Eine Antwort wurde schon von einer Gruppe prominenter deutscher Wissenschaftler:innen vorgeschlagen: Ein vom Bund gefördertes neues „Meitner-Einstein-Programm“ unter dem Dach der DFG sollte bis zu 100 US-amerikanischen Spitzenforscher:innen berufliches Asyl in Deutschland sichern.7

Könnte die desolate Lage in den USA weitere Impulse im deutschen Reformstau freisetzen? Jenseits von Abwerbefantasien gibt es ausreichend Gelegenheit zur Verbesserung unserer Willkommenskultur, etwa in Form von Dual-Career-Angeboten. Aber auch, indem Hindernisse wie mangelnde Gastfreundschaft, hohe bürokratische Schwellen, unübersichtliche Webseiten und nicht in Fremdsprachen zugängliche Dokumente abgebaut werden. Besonders wünschenswert wäre ein Ruck in Sachen befristet beschäftigter Kolleg:innen, denn die andauernde Situation bietet amerikanischen „young talents“ keine vielversprechenden Aussichten.8 Zurückgehalten haben sich bisher nicht nur Stiftungen, sondern auch die Institutes for Advanced Study, die dank ihrer internationalen Fellow-Programme über Mittel und Expertise in der temporären Ansiedlung ausländischer Gäste verfügen und damit auf die aktuelle Situation in den USA reagieren könnten. Doch auch hier erzeugen kurzatmige An- und Abwerbungsaktionen neue Zielkonflikte: So wird ja das Bestreben, den sogenannten Globalen Süden – und „scholars in flight“ aus anderen Staaten – effektiver in den wissenschaftlichen Austausch zu integrieren, durch gegenwärtige Einschränkungen freier Forschung in den USA nicht obsolet. Angesichts einer angespannten Ressourcensituation wird es nicht leichter, hohe Investitionen für die Ansiedlung US-amerikanischer Wissenschaftler:innen mit Sparmaßnahmen und sinkenden Chancen für andere Zielgruppen zu vermitteln. Neue Prioritäten müssen zwischen verschiedenen institutionellen Akteuren in Konkurrenz und Kooperation begründet werden.


  1. https://www.spiegel.de/wissenschaft/deutschland-und-donald-trump-max-planck-gesellschaft-wirbt-um-us-spitzenforscher-a-22120cc4-c8d1-4b2e-bdc4-4f8c91721474 ↩︎
  2. https://www.zeit.de/wirtschaft/2025-03/usa-unis-deutschland-forschende-wirtschaft ↩︎
  3. https://www.bmbf.de/SharedDocs/Downloads/DE/2025/gemeinsame_erklaerung_allianz_der_wissenschaftsorganisationen_bmbf.pdf?__blob=publicationFile&v=1 ↩︎
  4. https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/trumps-wissenschaftspolitik-us-forscher-abwerben-110383667.html ↩︎
  5. https://www.zeit.de/2025/08/wissenschaftsfreiheit-forschung-donald-trump-europa-foerderung. ↩︎
  6. https://www.univ-amu.fr/en/public/actualites/safe-place-science-aix-marseille-universite-ready-welcome-american-scientists#:~:text=In%20a%20context%20where%20some,to%20innovation%2C%20excellence%20and%20academic ↩︎
  7. https://www.spiegel.de/ausland/usa-unter-donald-trump-gebt-amerikas-spitzenforschern-eine-neue-heimat-in-deutschland-a-1e9be57f-d43b-4eeb-88f1-8ffea8dcfa3e ↩︎
  8. Vgl. dazu in wünschenswerter Deutlichkeit Jan-Martin Wiarda: https://www.jmwiarda.de/2025/03/24/nicht-die-zeit-für-krisengewinne/. ↩︎