Leben und Sterben im Dark-Academia-Disneyland

Netflix lässt seinen aktuellen Romantic-Dramedy-Schlager in Oxford spielen und macht dabei vor keinem Klischee Halt: „My Oxford Year“ sieht aus wie einem KI-Prompt zum Thema „dark academia“ entsprungen und gerät in seinen Aussagen profan bis problematisch.

Von Tobias Kreutzer

Der Plot von „My Oxford Year“ ist schnell erzählt: Anna, eine junge, hispanische Bildungsaufsteigerin aus dem pulsierenden New York City, schiebt den Einstieg in die gut dotierte Lohnarbeit auf, um noch ein Jahr lang ihre Leidenschaft für das Feinsinnige im altenglischen Oxford auszuleben. Kaum dort angekommen, beginnt sie ein (natürlich erst mal unverfängliches, weil ja zeitlich begrenztes) Verhältnis mit dem sehr jungen und sehr intelligenten Lyrik-Dozenten Jamie. Aus spontanem Sex im Cabrio werden sehr bald gemeinsame Ballbesuche mit Familienanhang. Einen jähen Bruch erfährt die Liebesgeschichte jedoch, als Anna von Jamies schwerer Krebserkrankung erfährt, der er schließlich erliegt. Am Ende bleiben die beiden aber durch die Kraft der Lyrik trotzdem auf ewig miteinander verbunden.

„My Oxford Year“ führte bei seinem Start zahlreiche nationale Netflix-Charts an und wurde weltweit viele Millionen Male abgerufen. Eine große Bühne also für das, was an Wissenschaftskommunikation in einem Film steckt, der immerhin eine der weltweit bekanntesten Wissenschaftsinstitutionen im Titel trägt.

Wir erfahren zunächst, dass die alten Mauern und Gänge unverändert stehen. Sie bieten immer noch den größten Geistern ein Zuhause und sehen im mystischen Sonnenlicht wie im gemütlichen englischen Dauerregen gleichermaßen großartig aus. Oxford ist ein Anachronismus und, wie aus US-Sicht eigentlich die gesamte „Alte Welt“ Europas, eine Art schrulliges Freilichtmuseum. Nicht umsonst schiebt Anna den Ernst des Lebens – den schon vertraglich zugesicherten Job als Finanzanalystin bei Goldman Sachs – anfangs nur auf, um noch einmal zwischen staubigen Wälzern und Talaren ein bisschen träumen zu können.

Tatsächlich benötigt es erst dieses Hogwarts-Setting, damit die Akademie in ihrer Vielfalt Erwähnung und vielleicht sogar so etwas wie Wertschätzung erfahren kann. In seiner (musikalisch aufwühlend unterlegten) Ansprache an die neuen Studierenden erwähnt der Universitätsrektor die „great leaders, great scientific minds“ und „literary visionaries“ in der Geschichte Oxfords gleichermaßen und zeichnet damit ein Bild von Wissenschaft, das zumindest einmal nicht am nächsten KI-Hub endet.  

Leider kommt die Darstellung der literaturwissenschaftlichen Arbeit dennoch nicht über Gedichtinterpretationen und Kalendersprüche auf Mittelstufen-Niveau hinaus (wenn auch besser gekleidet und effektvoller vorgetragen). Es steht zu befürchten, dass die Thematisierung geisteswissenschaftlicher Disziplinen nur wenig zu ihrer realitätsnäheren öffentlichen Wahrnehmung beiträgt, solange sie in einer aus der Zeit gefallenen Tweed-Traumwelt daherkommt.

„My Oxford Year“ interessiert sich genauso wenig für wissenschaftliche Arbeit wie für die sie umgebende Gesellschaft. Weder die rassistische Politik noch die massiv eingeschränkte wissenschaftliche Freiheit in den USA werden thematisiert – ganz zu schweigen von dem potenziell missbräuchlichen Machtverhältnis zwischen Studentin und Dozent. Der absurde, kolonial-royale Reichtum von Jamies Familie dient lediglich als Kulisse für die Ausfahrt im Oldtimer. Alles kein Problem, solange der literarische Visionär Anna bodenständig zu Dimitris Foodtruck auf dem Campus ausführt, bei dem allerdings nicht ganz klar wird, ob er aus Athen oder Antalya kommt, Kebap oder Gyros Pita serviert.

Das wäre alles noch zu verschmerzen, wenn der Film sich wenigstens für das bare minimum des romantischen Dramas, seine Menschen und deren Gefühlswelten, interessieren würde. Aber selbst „der wohl schönste Sterbenskranke“ (Hörzu) der Welt löst ob der schwachen Figurenzeichnung einfach nichts aus. „My Oxford Year“ ist ein kolossal gescheiterter Genre-Beitrag im Dark-Academia-Disneyland.