Reflexion statt Reputation

Wissenschaftskommunikation entdeckt noch immer das Visuelle: Diagramme, Animationen, illustrierte Erklärstücke usw. Ein aktueller Forschungsüberblick der TransferUnit zeigt einmal mehr das Potenzial, das darin steckt. Doch offen bleibt die Gretchenfrage: Nun sag, wie hast du’s mit der visuellen Kommunikation? Denn nötig ist ein neuer Modus, der Visualisierung als Kulturtechnik reflektiert und dazu Medienpraktiken produktiv unterwandert.

Von Oliver Ruf

Auch in der Wissenschaftskommunikation gibt es Moden, und es gibt Bewegungen, die tiefer greifen. Zu Letzterem gehört die Beobachtung, dass Visualisierung für das effektive Kommunizieren essenziell ist. Schließlich entstehen regelrecht überall und immerfort Bilderwelten: Daten verwandeln sich in bunte Karten, Erklärvideos illustrieren theoretische Ansätze, Infografiken versprechen Übersicht, wo Texte überfordern. Dass hier mehr geschieht als allein die Ornamentierung wissenschaftlicher Rede, dokumentiert dabei etwa der aktuelle Forschungsüberblick „Visuelle Kommunikation“ von Carolin Enzingmüller vom Kiel Science Communication Network für die TransferUnit Wissenschaftskommunikation. Dort heißt es zu Beginn programmatisch, Visualisierungen prägen „maßgeblich, wie wissenschaftliche Inhalte wahrgenommen, verstanden und eingeordnet werden, innerhalb wie außerhalb der wissenschaftlichen Community“. (S. 4) Und am Ende werden „gestaltungsinformierte, evidenzbasierte Strategien, interdisziplinäres Know-how und eine Haltung“ gefordert, „die visuelle Darstellungen nicht als ‚nice to have‘, sondern als zentrales Element moderner Wissenschaftskommunikation sieht“. (S. 23)

Das wirft ein Schlaglicht auf die Funktionen, Ziele und Bedingungen sowie auf die enorme Bedeutung visueller Wissenschaftskommunikation. Angedeutet werden allerdings auch deren Schattenseiten: „Visuelle Formate eröffnen Möglichkeiten für Verständigung, Zugänglichkeit und Teilhabe, bergen aber auch Risiken der Vereinfachung, Verzerrung oder Überwältigung.“ (Ebd.) Denn Visualität wird in der Wissenschaftskommunikation nach wie vor regelmäßig als pädagogische Krücke oder als dekoratives Hilfsmittel behandelt. Wer sich die gegenwärtige Praxis anschaut, sieht eine eigentümliche Mischung: Auf der einen Seite ernsthafte Versuche, Komplexität in Formen zu bringen, die verständliche und ggf. neue Zugänge eröffnen, auf der anderen Seite jedoch auch eine hastige Produktion von Visuals, die meist in erster Linie den Mechanismen der Social Media gehorchen – und dort der Logik von Likes, Reichweite und Selbstdarstellung folgen.

Das kann auch die Kommunikation der Wissenschaftskommunikationsforschung selbst implizit treffen. Nachdem der genannte Forschungsüberblick zur visuellen Wissenschaftskommunikation bei einem Online-Lunchtalk von Wissenschaft im Dialog vorgestellt wurde, erfuhr dieser auf der Plattform LinkedIn eine spontane Wiedergabe in Form einer Sketchnote. Das war eine konstruktive Geste und gleichzeitig Ausdruck wie Symptom dieses Diskurses: Eine wissenschaftskommunikative Visualisierung über Visualisierung in der Wissenschaftskommunikation, die eine Art Rückspiegelblick darstellt und als solcher – durchaus ungewollt – auf eine geradezu endlose Beobachtungsschleife von Wissenschaftskommunikation und deren Erforschung verweist.

Statt in Mustern der Erschließung zu verharren, sollte ein neuer Modus der Wissenschaftskommunikationsforschung entwickelt werden. Dessen Weg kann auch über eine Reflexion des Visualisierens als Kulturtechnik verlaufen, die untersucht, wie Wissen durch Gestaltungsformen sichtbar, ordnungsfähig und letztendlich auch verhandelbar gemacht werden kann. Die Kulturtechnik des Visualisierens ist schließlich ebenfalls in der Wissenschaftskommunikation ein Verfahren, das kulturelle Deutungen von Wissen über Wissenschaft prägt und so Erkenntnisräume eröffnen kann, die ohne sie unsichtbar blieben. Diese Art visuell orientierter Wissenschaftskommunikationsforschung ist selbst eine Praxis der Reflexion. Für sie ist es aber zugleich notwendig, damit einhergehende Medienpraktiken produktiv zu unterwandern, anstatt diese zu adaptieren, beispielsweise solche der Erfolgskommunikation in den Social Media. Das bedeutet, dass Visualisierung hier gerade nicht eingesetzt wird, um bloße Aufmerksamkeit zu binden, sondern dass sie ihrerseits potenziell Erkenntnisprozesse eröffnet. Denn wenn Visualisierung lediglich Teil einer Reputations-Show ist, dann verstärkt sie jene Skepsis, die guter Wissenschaftskommunikation viel zu oft entgegengebracht wird.

Visualisierungen sind längst zu Signaturen des wissenschaftlichen Sprechens, zumal in digitalen Öffentlichkeiten, geworden. Man könnte sagen: Auch deshalb hat Wissenschaft die visuelle Kommunikation für sich entdeckt – und sie entdeckt sie nicht zufällig in dem Augenblick, in dem digitale Medien ihre Aufmerksamkeit immer radikaler auf Bilder richten. Zu oft erscheinen Visualisierungen dabei als Zutat, nicht als genuine Methode; zu oft folgen sie der Gefälligkeit, nicht der Erkenntnis. Daran ändern auch Selbstbezüglichkeiten wie Bilder über die Bedeutung von Bildern wenig. Denn es sind dies Momente, in denen sich eine Praxis verdoppelt und dabei Gefahr läuft, ihre kritische Kraft aufs Spiel zu setzen. Was sichtbar wird, ist weniger der Triumph der Visualisierung als das Echo der Social Media. Bilder werden für Reichweite optimiert, sie zirkulieren in endlosen Feeds, in denen jede Geste der Wissenschaftskommunikation mit Marketingmaßnahmen zumindest kollidiert. Die Frage ist also nicht: Soll Wissenschaftskommunikation visualisieren? Sondern: Wie lässt sich visualisieren, ohne Wissenschaft dem Spektakel zu opfern?

Visualisierung wäre dann nicht eine Art Schminke für Wissenschaftskommunikation, sie wäre ein Verfahren, das Inhalte neu strukturiert, andere Zugänge eröffnet, Perspektiven gleichsam verflüssigt. Damit stünde zugleich eine andere Haltung auf dem Spiel. Nicht ein Reputationsspiel darf den Takt bestimmen, sondern die Unterwanderung jener Routinen, die Kommunikationen zu Fabriken der Beliebigkeit machen. Gelänge dies, würde aus der vielbeschworenen visuellen Wende auch in der Wissenschaftskommunikation keine Mode, sondern vielmehr eine Chance auf eine fortlaufende Bewegung. Erst wenn das Auge wirklich denken darf, wird auch hier aus Visualisierung mehr als Beiwerk – im besten Fall eine neue visuelle Sprache von Wissenschaft.