Raketenwissenschaftsministerium?

Die neue Bundesregierung plant ein Ministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt und setzt damit neue Schwerpunkte in dem für die deutsche Wissenschaft wichtigsten Ressort. Das spricht Bände über das Wissenschaftsverständnis der künftigen politischen Entscheidungsträgerinnen und -träger.

von Tobias Kreutzer

Die Tage und Wochen nach der Veröffentlichung eines zentralen politischen Dokuments sind zwangsläufig geprägt von kleinteiligen Interpretationsdiskursen in verschiedenen gesellschaftlichen Interessengruppen: Dies und das sagt der Entwurf des Koalitionsvertrages zwischen Union und SPD zu Arbeitsmigration und Bürgergeld. Jenes steht drin in Sachen „Triple-Wumms“, „Bazooka“, oder unter welchem cleveren neuen Label der politischen Kommunikation der versprochene Geld- und/oder Steuersegen für den Wirtschaftsstandort auch diesmal auftaucht. Und irgendwo, für die ganz Nerdigen, geht es natürlich auch um Wissenschaft.

Was Wissenschaft 2025 für die Spitzenpolitik der Bundesrepublik bedeutet, lässt sich dabei womöglich an einer zentralen Schwerpunktsetzung ablesen: Das „Bundesministerium für Bildung und Forschung“ soll in Zukunft unter dem Namen „Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt“ firmieren. Unter CSU-Führung. Logisch. Der Entwicklungsschritt vom Flugtaxi zum Satelliten mag ein großer für die Menschheit sein, aber ein kleiner für den Bajuwaren von Welt.

Politik und dementsprechend auch Ressortzuschnitte sind immer auch Ausdruck einer bestimmten Problemwahrnehmung, die mal mehr und mal weniger große Überschneidungsbereiche mit der Realität haben kann. 1955 gab es deswegen ein „Ministerium für Atomfragen“, damals noch unter dem CSU-Politiker, dessen Poster angeblich in allen Kinderzimmern aller heutigen CSU-Politiker hing: Franz Josef Strauß. Angewandte Forschung ließ sich zu dieser Zeit kaum entkoppelt vom Kalten Krieg denken. In den Folgejahren gab es dann Umbenennungen in „Bundesministerium für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft“ (1957), „Bundesministerium für Atomkernenergie“ (1961), „Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung“ (1962) und schließlich „Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft“ (1969). Ein ab 1972 parallel existierendes „Bundesministerium für Forschung und Technologie“ wurde 1994 mit diesem zum „Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie“ fusioniert. 1998 erfolgte schließlich die bis dato letzte Umbenennung in „Bundesministerium für Bildung und Forschung“.

Wenn dessen Ära nun endet, stellt sich die Frage, welche symbol- oder realpolitischen Hintergründe es dafür gibt. Will man den durch einen US-Tech-Oligarchen zuletzt etwas in Verruf geratenen Weltraum rehabilitieren und endlich wieder positiv besetzen? Spektakuläre Sätze wie der folgende aus dem Koalitionspapier deuten darauf hin: „Astronautische Weltraummissionen inspirieren die nächste Generation zu Höchstleistungen.“ Das klingt ein bisschen nach einem Wiedergänger der „Technologieoffenheit“, gefunkt aus der parteipolitischen Versenkung der FDP. Klar ist: Am Ende bietet der Weltraum neben „unendlichen Weiten“ eben immer auch „unendliche Projektionsflächen“.

Es ist natürlich richtig, dass Satellitentechnologien wie auch das zweite zentrale Schlagwort des Papiers, KI, die kommenden Jahre prägen werden. Genauso richtig ist es, dass die geo- und wirtschaftspolitischen Abhängigkeiten in diesen Sektoren angesichts autoritärer Machtergreifungen – sogar in lange sichergeglaubten Partnerländern – nicht länger hinnehmbar sind.

In gleichem Maße aber, wie der technologische Anwendungsdruck steigt, ist die Kontextualisierungsleistung von Sozial- und Geisteswissenschaften gefragt, die mit ihrem „Orientierungswissen“ (Jürgen Mittelstraß) Gesamtperspektiven und ethische Fragestellungen beisteuern können und müssen. Die Nebenwirkungen von Aufrüstungsdynamiken sowie massiver Akkumulation von Kapital und Daten treiben Menschen um – und können politisch nicht allein durch technologische Überbietungswettbewerbe eingehegt werden. Es wäre daher dringend geboten, dass die gleichfalls im Koalitionspapier in Aussicht gestellte „Förderung von Sozial-, Geistes- und Kulturwissenschaften“ ihrerseits starke politische Fürsprechende findet. Ungeahnte Welten könnten sich auftun.